|
Spree-
und Neißeradtour von Vytas
2009
1. Tag, Freitag:
Berlin Mahlsdorf – Ranzig, 106 km
Am Haus meiner
Eltern ging es gegen zehn Uhr an den Start unserer Tour. Durch Friedrichshagen
und den Spreetunnel mit voll bepacktem Fahrrad und schon fanden wir uns
auf dem Spreeradweg wieder. Allerdings fehlt in Berlin noch die Beschilderung;
hier muss man dem Europaradweg R1 bis Erkner folgen. Gut, wenn man sich
auskennt. In Erkner kauften wir noch schnell ein Fläschchen Öl
um das Quietschen an meiner Gangschaltung auszuschalten, fuhren aus dem
Ort hinaus und das erste Highlight dieser Tour stand bereits auf dem Programm:
der 10.000ste Kilometer meines Koga Miyata Globetraveller Tourenrads.
Nebenbei auch der 10.000ste Kilometer meiner hinteren Maxxis-Bereifung
ohne einen einzigen Platten! Dennoch, einen frischen Mantel hatten wir
trotzdem dabei, lange macht der Alte das nicht mehr mit.
Aber weiter zur Tour: die Räder rollten, die Radwege waren durchweg
asphaltiert und schön flach, hier und da tauchte immer wieder die
Spree auf, es herrschten kaum Verkehr und sanfter Wind aus Nordwest; also
Rückenwind! Was für ein toller Start in eine Tour! Daher verwundert
es auch nicht, dass trotz einiger Verpflegungspausen, endlos erscheinendem
märkischen Kiefernwald und dem gemächlich fließenden Wasser
der Spree, bereits nach kurzer Zeit und etwa 60 km Fürstenwalde vor
uns auftauchte. Ein kleiner Abstecher in die Stadt, am Dom ins Lesecafé
des Küsters und zwei Stück Kuchen und zwei Tees für drei
Euro genascht! Noch einmal den St.-Marien-Dom angeschaut und weiter ging’s
Richtung Beeskow. Dort hatten wir uns ein Zimmer oder eine Pension vorgenommen,
da es in dieser Nacht und am nächsten Tag stark Regnen sollte. Außerdem
stand eine Besichtigung von Burg Beeskow auf dem Programm.
In Beeskow angekommen, bin ich direkt in die Touristeninfo gegangen und
habe nach einem Zimmer gefragt; aber es wurde mir mitgeteilt, dass so
ziemlich alles belegt sei. Die nette Dame telefonierte aber trotzdem für
uns herum und fand heraus, dass ein Einzelzimmer im Gutshaus noch frei
sei, für Franziska und mich kein Problem. Also machten wir uns direkt
auf den Weg dahin. Ohne das Zimmer bestellt zu haben, aber nur fünf
Minuten später standen wir an der Rezeption. Ich erklärte ein
Einzelzimmer sei kein Problem und so weiter, während der nette, junge
Herr hinter dem Tresen erwiderte, es sei alles belegt, er könne nichts
für uns tun. Häh? Drei Autos vor dem riesigen Gutshaus mit Pensionswohnungen
und genau in den fünf Minuten soll das letzte Zimmer weggegangen
sein? Schon klar! Für kurze Zeit war aus einem guten ersten Tag ein
schlechter geworden.
Also zogen wir weiter. Auch die nächste Pension war ausgebucht, aber
hier kümmerte man sich. Es hieß, in Ranzig etwa 10 km weiter
flussaufwärts sei etwas frei. Also bestellten wir diesmal direkt
das Zimmer, verabschiedeten uns von der viel versprechend aussehenden
Burg Beeskow ohne hineingeschaut zu haben und machten uns auf den Weg
nach Ranzig, ein typisch brandenburgisches Dorf an einer Hauptstraße
gelegen, mit rechtwinklig verlaufenden Straßen, alter DDR-Bausubstanz
und dem „juten, alten balinisch-brandenburgischen Jargon, wa“.
Die Entscheidung aber war sehr gut, denn nicht nur das Zimmer war komfortabel
und erschwinglich, auch das Essen war alles andere als ranzig (nun ja,
einmal musste das hier kommen!). Ganz im Gegenteil. Hausgemacht, Hunger
stillend und lecker. Schließlich fing es an zu regnen und es zeigte
sich, dass wir eine gute Entscheidung getroffen hatten, am ersten Tag
in einer Pension zu schlafen.
Kurz vor Fürstenwalde: Pause an der Spree
2. Tag, Samstag: Ranzig – Burg (Spreewald), 99
km
Es regnete
immer noch, als kurz vor acht Uhr das Telefon den Tag einsäuselte.
Na toll, Regen war zwar angesagt, aber schon mit Regen losfahren, da hatten
wir keine Lust drauf. Was macht man da? Erstmal frühstücken.
Und wenn es dann immer noch regnet? Packen. Und wenn es auch dann noch
immer regnet? Feststellen, dass die Karte Spreeradweg fehlt und suchen.
Bis uns einfiel, dass wir sie am Abend beim Essen haben liegenlassen verging
so einiges an Zeit, so dass es bereits aufhörte zu regnen, als wir
sie endlich wiederbekamen. Gutes Timing fällt mir dazu ein.
Kalt und feucht war es dennoch, also holten wir heute die langen und regentauglichen
Klamotten raus, statt kurz zu fahren und los ging’s. Landschaftlich
änderte sich zunächst nicht viel: Spree, Erlenbrüche und
Kiefernwälder mit Heide im Unterwuchs, aber stets Einsamkeit, selten
andere Radfahrer und viele Kilometer von einem Ort zum nächsten.
Zunächst kamen wir zu der Stelle an welcher Wasser der Spree in die
Dahme umgeleitet wird, über den Dahme-Umflut-Kanal. Einerseits handelt
es sich dabei um Niedrigwasserschutz im Bereich der Dahme, andererseits
um Hochwasserschutz im Bereich der Spree. Keine schlechte Idee würde
ich sagen. Nachdem wir allerlei alte Stau- und Wehranlagen beschaut hatten,
betätigten wir uns auch gleich an der Schleuse und fluteten aus Spaß
einfach mal zehn Kubikmeter Wasser in die Dahme um.
Nach etwa 40 km aßen wir dann in Krausnick zum Mittag, sozusagen
am Tor zum Unterspreewald. Eine Gruppe älterer Herrschaften, die
ebenfalls dort gespeist hatte, machte sich gerade mit Rädern auf
den Weg; erst in die eine, dann in die andere Richtung. Verfahren…
aber immerhin:
„Wir haben schon vier Kilometer geschafft!“ sagte eine ältere
Dame ganz stolz.
Im Spreewald, einem der größten Binnendeltas in Deutschland,
änderte sich naturgemäß die Landschaft. Ständig kreuzte
man Nebenarme der Spree; es wirkte alles ein bisschen wie im Regenwald.
In Schlepzig tranken wir ein echtes Spreewälder Bier (ein bisschen
überhopft für meinen Geschmack, aber sonst sehr erfrischend)
und schauten uns die Fachwerkkirche mit Deckenbemalung aus Wolkenmotiven
an.
Zwischen Lübben und Lübbenau weitete sich mit der Landschaft
auch die Sicht und aus den Waldflächen wurden Niedermoor- und Grünlandstandorte.
In Lübbenau vollführte eine Gruppe Westerntänze, die wir
allerdings recht desinteressiert links liegen ließen, denn ein paar
Tropfen rieselten doch noch vom Himmel.
Zwischen Lübben und Lübbenau verschlechterte sich das erste
Mal die Beschilderung des Spreeradwegs, weswegen wir uns einige Male verfuhren
bzw. neu orientieren mussten. Wahrscheinlich liegt das an einer Vielzahl
anderer Fern- bzw. Regionalradwege, wie zum Beispiel Gurken- und Froschradweg.
Dennoch, auch der labyrinthartige Oberspreewald zwischen Lübbenau
und Burg konnte uns nicht vom Weg abbringen; auch diesen passierten wir
mit Erstaunen über das weit verzweigte Kanal- und Wasserstraßennetz
bzw. die wirklich schönen Grundstücke, die nur über eine
Brücke oder dem Boot zu erreichen sind.
Endstation dieses Tages war Burg, eine Gemeinde, deren Grenzen kaum zu
fassen sind, da zur Gemeinde gehörende Grundstücke im ganzen
Spreewald verstreut sind. Einzig Burg-Dorf ist als klassische Ortschaft
zu bezeichnen, mit Markt, Kirche und Spreewaldtherme. Hier suchten wir
einen Campingplatz, der gerade einmal zwei wegweisende Straßenschilder
zu gesprochen bekommen hat, daher dauerte das Finden eine Weile. Allerdings
lohnte sich die Suche, denn die Anlage war neu; mit besten Sanitäreinrichtungen.
Dumm jedoch, wenn man beim Einchecken feststellt, dass der Ausweis seit
fünf Monaten abgelaufen ist und man gar keinen gültigen Reisepass
mehr besitzt. Ups… Die nette Dame an der Anmeldung konnte mir auch
gleich sagen, wie viel Strafe dass im Landkreis Spree-Neiße kostet:
exakt 26,55 €; sie hatte bis vor kurzem im Amt gearbeitet. Nochmal
Ups… Die erste Amtshandlung nach dem Urlaub stand damit schon fest.
Na dann, darauf erst einmal ein Bier, einen Grillteller und Gute Nacht!
Werder
(Spree), kurz vor dem Spreewald: Feuchtes Wetter? Kein Problem!
3.
Tag, Sonntag: Burg (Spreewald) – Talsperre Spremberg,
66 km
Es war Sonntag
und damit Zeit, den Tag etwas ruhiger anzugehen. Wir beschlossen die Spreewaldtherme
zu besuchen und ersten leichten Verspannungen durch Solebad und Sauna
erst gar keine Chance zu geben. Außerdem sollte der ganze Spaß
ja Urlaub sein. Also machten wir auch welchen. Eine halbe Stunde nach
Öffnung betraten wir den Thermalbereich und es war bereits alles
voller Rentner. Nicht, dass ich was dagegen hätte, aber ich war doch
überrascht. Dementsprechend voll war bereits der Whirlpool und in
anderen Becken, bei denen man sich auf etwas Sprudelndes stellte, musste
man aufpassen, von sprudelgeilen Omis nicht weggeschubst zu werden. Auf
soviel Körperkontakt hatte ich dann doch keine Lust. Nichtsdestotrotz,
entspannen konnten wir uns trotzdem, gerade die Intensivsohle mit acht
Prozent Salzgehalt, 36 °C und dem kalten Bad danach wirkte sehr belebend.
Das Thermalwasser entstammt übrigens einer Bohrung aus 1.300 m Tiefe.
Es ist daher bereits vulkanisch aufgeheizt und bringt einen satten Salzgehalt
mit.
Nach mäßigem, aber nicht ungewohntem Thermenschmaus ging es
dann doch noch weiter, nur um gleich hinter Burg auf den Bismarckturm
zu steigen und über den Spreewald zu schauen. Bis auf Burg und Wald
war allerdings nicht viel zu sehen. Also weiter, immer auf dem Deich,
nach Peitz und Cottbus. Die Radwegsbeschilderung wurde wieder besser,
der Rückenwind tat sein übriges, so dass es dermaßen gut
rollte, dass wir beinahe zwei Frauen überfahren hätten, die
gerade eine Umfrage an vorbeikommenden Radwanderern durchführten.
Am Sonntag Nachmittag. Ehrenamtlich? Hut ab! Unser bisheriges Urteil des
Spreeradwegs von Berlin Köpenick bis Peitz: sehr gute Radwege und
Fahrradstraßen, sehr gute Beschilderung – außer im Spreewald,
dort nur mäßig. Insgesamt aber sehr zufrieden stellend.
Hinter Peitz begannen dann die Peitzer Teiche und das Kraftwerk Jänschwalde
schaute monströs vom anderen Ufer herüber. Ursprünglich
im 16. und 17. Jahrhundert als Fischteiche angelegt sind die Peitzer Teiche
zu DDR-Zeiten zu wenigen großen Seen ausgebaggert worden, so dass
sie heutzutage aussehen wie geflutete Tagebaus. Zwischen den Teichen fließt
die Spree und somit fuhren auch wir zwischen den Teichen hindurch, immer
weiter nach Cottbus. Einzige und wichtigste Handlung in Cottbus war ein
zehnminütiger Gang zur Toilette. Sich alles anzuschauen schafft man
eh nicht.
Unser Ziel an diesem Tag war das Spreecamp an der Talsperre Spremberg
noch so früh zu erreichen, dass ich einen Lauf von 20 km um die Talsperre
machen konnte. Irgend warum hatte ich mich für den Bremenmarathon
angemeldet, also musste ich auch laufen. Dafür hätten wir nach
meiner Einschätzung gegen 18.00 Uhr dort sein müssen. Gesagt
getan. Zelt aufgebaut, Nutellabrot in den Rachen geschoben, Laufsachen
an und los ging’s mit Trinkflasche und Trainer auf dem Rad. Und
Blähungen ab Kilometer fünf. Na ja, Uta Pippig lässt grüßen…
Die Talsperre Spremberg ist eingebettet in die Erosionsrinne einer Endmoränenlandschaft
selbst an der tiefsten Stelle in der Nähe der Staumauer aber nicht
tiefer als acht Meter. Umgeben von Wald änderte sich auf den 20 km
so gut wie nichts: Kiefern, Heidekraut und mein Atemrhythmus begleitete
uns auf der Runde. So gut wie nichts? Nicht ganz, nach 8 km ging die Sonne
unter, nach 15 km war es dunkel. Zum Glück ist der Weg um die Talsperre
so idiotensicher, dass man ihn blind findet. Wieder am Zelt angekommen
hieß es duschen, einen Saft trinken und ins Bett gehen. Mehr war
heute nicht mehr drin.
Laufen
um die Talsperre Spremberg: ‚Bremen Marathon? Puh, da hab’
ich mir was vorgenomm’!’
4.
Tag: Talsperre Spremberg – Obergurig, 92 km
Kurz vor
acht, das Telefon säuselte uns wieder aus dem Schlaf und die Sonne
schien warm vom anderen Ende der Talsperre hinüber.
„Bin ich müde“ sagte ich. „Ich auch“ sagte
Franziska.
Auch hier gilt wieder die goldene Regel: Erstmal frühstücken,
dann weiterschauen. Weil die Nacht auf dem Spreecamp nur halb so teuer
war, wie in Burg, gestatteten wir uns ein Frühstück im nahe
gelegenen Hotel, das wir am Abend zuvor bestellt hatten. Eine dicke fette
Kaffeekanne stand bereits auf dem Tisch und wir versuchten dem gestressten
Personal klar zu machen, dass wir nur Tee trinken. Noch gestresster brubbelte
das Personal vor sich hin, was genau war nicht auszumachen und es kam
eine Kanne mit einem Beutel Tee und so viel Inhalt, dass es gerade für
zwei kleine Tassen reicht. Vielen Dank auch, ja?! „Mmpf!“
würde jetzt in einem Comic stehen. Wir versuchten es allerdings mit
Freundlichkeit und bekamen tatsächlich noch eine zweite Kanne ohne
Aufpreis. Na geht doch!
Etwas gestärkt packten wir unser Zelt und den ganzen Kram in die
Taschen, wobei Franziska für die Ordnung zuständig war, ich
für das Zelt. Eine Arbeitsteilung, mit der wir sehr gut zu recht
kamen. Weiter ging’s bei Sonnenschein und kurzen Sachen. Heute war
mal wieder ein Tag für einen Sonnenbrand.
Der erste Halt des Tages war Spremberg. Eigentlich wollten wir gar nicht
in die Innenstadt, aber als wir da waren, lockte uns die alte Schlossinsel.
Ein Wasserspiel wollten wir uns aus nächster Nähe anschauen
und damit wir für einen kurzen Blick nicht die Fahrräder anschließen
mussten schoben wir sie in die an sich offene Anlage hinein und parkten
direkt hinter dem Eingang auf einer Fläche, die sehr geräumig
war. Ein Blick hier, ein Blick da und plötzlich stand ein Sicherheitsbeamter
(oder war es nur ein Security-Wichtigtuer?) mit Hund vor uns und fragte,
ob dies denn unsere Fahrräder seien. Natürlich waren es unsere,
Radhose, Radhelm, Radschuhe, Radtrikot. Sonst noch jemand in dem Aufzug
hier? Nein! Nur Familien mit Kindern. Ich ging auf ihn zu, wie man es
tut, wenn man mit normalen Menschen redet. „Achtung, kommen sie
nicht zu nahe!“ warnte er mich plötzlich.
Achja, der Köter! Wir sollten die Räder doch bitte vom Gelände
entfernen, und in die dafür vorgesehenen Fahrradständer stellen,
da diese hier nicht erlaubt seien. Sprich, drei Meter weiter außerhalb
des Geländes, hinter der Hecke, wo wir die Fahrräder nicht sehen
konnten. Klar! Schon mal ein 30 kg schweres, voll bepacktes Fahrrad in
einen üblichen Fahrradständer gestellt? Wenn’s umfällt,
kann man das Vorderrad wegschmeißen. Gut, dass so freundliche Sicherheitsbeamte
mit abgerichteten Hunden Familien mit Kindern vor gemeingefährlichen,
schwerst verbrecherischen Radfahrern beschützen! Es gibt ja sonst
nichts zu tun. Innerlich bereits kochend wandte ich mich ab, woraufhin
der Hund gleich noch einen Tollwutanfall bekam. „Sehen Sie, deswegen
sollten sie mir nicht zu Nahe kommen“ rief er mir grinsend nach.
„Ja, ich sehe“ dachte ich, „und ohne Hund hätte
ich dir die Fresse poliert, du Penner!“
Das tat mal gut… mehr fällt mir aber wegen der Pappnase zu
Spremberg nicht mehr ein. Schade!
Also, ab nach Sachsen weiterfahren und im Fahrtwind etwas abkühlen.
Nebenbei noch die „malerischen“ Kraftwerke Schwarze Pumpe
und Boxberg fotografieren und das Lausitzer Tagebaugebiet durchqueren.
Im Örtchen Sprey wies uns das Schild der Dorfgaststätte nach
guten 40 km an, mal Pause zu machen. Na gut, wenn die meinen... Fünf
Rad fahrende Gäste, drei ältere Herren und ein Pärchen
um die vierzig, ebenfalls aus Berlin kommend, saßen bereits zu Tisch,
als wir unsere Räder dazu stellten. Es dauerte daher auch nicht allzu
lang, bis uns das Pärchen, das uns kurz zuvor noch an einer Eisenbahnbrücke
überholt hatte, bereits ansprach:
„Fahrt ihr auch den Spreeradweg?“ – „Ja.“
„Wie lange seid ihr unterwegs?“ – „Nur diese Woche“
– „Ach, wir dachten, ihr wollt noch bis Italien, weil ihr
einen Mantel dabei habt.“
Ich erklärte die Sache mit den 10.000 km ohne einen Platten und,
dass es jederzeit vorbei mit meiner Bereifung sein könnte. Das Pärchen
wurde immer redseliger:
„Wir haben Euch gestern schon im Spreewald bei Leipe gesehen.“
– ‚Aha, wir Euch nicht’ dachte ich. Eigentlich wollten
wir ja in Ruhe essen, aber ich musste mich auch mal bemühen, ein
bisschen freundlicher zu sein.
„Und sie? Wohin fahren sie noch?“ fragte ich.
„Bis zur Quelle und dann noch nach Zittau und entlang der Neiße
zurück.“ – War das nicht unsere Tour?
„Und sie sind auch in Berlin losgefahren?“ – „Ja.“
Nun war ich der Fragensteller. Weil die beiden recht wenig Gepäck
dabei hatten fragte ich: „Und haben sie Unterkünfte im Voraus
gebucht?“ – „Nein, wir suchen uns immer was, wenn wir
keine Lust mehr haben. Am Wochenende musste man ein bisschen suchen, aber
jetzt geht’s.“ – Stimmt, konnten wir bestätigen.
Schließlich machten sie sich doch auf den Weg.
„Man sieht sich!“ verabschiedeten wir uns. – ‚Bestimmt’,
denke ich.
Nach dem Essen folgte der Radweg dem Ufer des Bärwalder Sees, einem
großen, gefluteten Tagebau, mindestens so groß wie der Müggelsee.
Bereits hier überholten wir die drei älteren Herren, die wir
beim Mittag getroffen hatten. Der Weg folgte der Spree weiter nach Süden
und zum ersten Mal sahen wir Berge, die sich von der bisher komplett flachen
Landschaft abhoben. Vor den Toren Bautzens ging es das erste Mal bergan,
bis wir über das Wasser der stadteigenen Talsperre blicken konnten.
Auf dem Weg in die Stadt kamen uns zwei bekannte Gesichter entgegen:
„Ach, hallo! Verfahren?“ fragten wir.
„Nein, wir haben genug für heute. Wollten mal nach einer Unterkunft
fragen“, antworteten sie.
„Wir fahren noch weiter, bis später!“ – „Bis
später!“.
Auch Bautzen selbst war mit Anstiegen und Abfahrten durchsetzt, so dass
wir pustend die sehenswerte Innenstadt
erreichten. Ein schnelles Telefonat und schon war ein Campingplatz ausgemacht;
bei Obergurig im Radlerhäus’l, einem Vereinshaus mit Zeltplatzwiese.
In Obergurig fielen uns auch zum ersten Mal die für die Region typischen
Umgebindehäuser auf. Häuser, in ganz eigenem Fachwerkstil.
Nach dem Essen in der benachbarten, seit dem 16. Jh. existierenden Wassermühle,
die erst vor kurzem restauriert und zu einer Gaststätte mit Museum
umfunktioniert wurde, schauten wir uns noch allerlei Mühlenräder
und andere Ausstellungsstücke an, bevor es zufrieden und müde
zu Bett ging.
Herrliches Wetter an der Talsperre Spremberg
5. Tag: Obergurig
– Kloster St. Marienthal, 92 km
Ab Obergurig
waren es nur noch 40 km bis zur Quelle. Dies sollte bis heute Mittag geschafft
sein, so nahmen wir uns vor. Beim Bäcker in Obergurig versorgten
wir uns noch mit dem Nötigsten (Brötchen und Schwarztee) und
los ging’s auf ein Neues. Zunächst fuhren wir weiter nach Süden,
bis die Spree aus Südosten kommend, für etwa 800 m Grenzfluss
zwischen Deutschland und Tschechien ist. Ab dort ging es in südöstlicher
Richtung weiter bis Ebersbach, wo wir unser Ziel schon fast erreicht hatten.
In unserem Begleitbuch zum Spreeradweg erfuhren wir, dass es historisch
drei Spreequellen gibt. Den Spreeborn in Ebersbach, eine Quelle in Neugersdorf
und eine am Kottmar, einem 583 m hohen Berg. Der Spreeradweg führte
uns an allen drei Quellen vorbei. Der Spreeborn ist die älteste ausgewiesene
Quelle (1868) und liegt mitten in einer Neubausiedlung in Ebersbach. Man
kommt sich als Berliner ein bisschen vor wie im Tal der Wuhle zwischen
den Platten von Marzahn und Hellersdorf. Die zweite liegt unweit davon
in Neugersdorf am Eingang eines Freibads direkt neben einer Hauptstraße
und ist nur ein paar Jahre später als Spreequelle ausgewiesen worden.
Die dritte Quelle entspringt in 486 m etwa 100 m höher als die zuvor
genannten Quellen im Wald an der Westseite des Kottmar, nördlich
der Schwarzbierstadt Eibau und entspricht als einzige dem, was man sich
gemeinhin unter einer Quelle vorstellt. Hier endet bzw. beginnt der Spreeradweg.
Nachdem wir den Anstieg bis dahin geschafft hatten, lockte uns der Aussichtsturm
vom Gipfel des Kottmar und die übrigen 100 Höhenmeter waren
schnell geschafft. Oben angekommen mussten wir enttäuscht feststellen,
dass die Bergbaude und der Turm vorübergehend wegen Sanierung geschlossen
waren. So ein Mist. Ein älteres Paar erklärte uns, dass sie
eine halbe Stunde zuvor noch auf dem Turm waren, als Handwerker kamen
um ein neues Schloss einzubauen. Und noch mal Mist! Immerhin, auf dem
Kottmar gibt es eine Skisprungschanze, so dass wir wenigstens nach Nordosten
schauen konnten in Richtung Lausitzer Tiefland, wo am Horizont das Kraftwerk
Boxberg, das wir am Vortag passierten, zu sehen war. Immerhin. Also zurück,
bergab und noch einmal für die Überfahrt nach Zittau stärken.
Auf das erste große Etappenziel gab es erst einmal ein Eis mit flambierten
Mirabellen und einen Tee für Franziska und einen Schokokuchen mit
einem Eibauer Pilsener für mich. Ich gebe zu, dass die Kombination
nicht gerade ideal ist, aber wie die nette Dame von der Gaststätte
großspurig sagte, als ich mich nicht zwischen hellem und dunklem
Eibauer entscheiden konnte: „Sehen Sie’s mal so: Ein Eibauer
Schwarzbier, können sie überall auf der Welt trinken, aber ein
helles Eibauer nur hier.“ – ‚Da ist was dran“,
dachte ich ‚aber überall auf der Welt?’ und bestellte
ein Helles.
Zum Schluss erfreute ich mich an ausführlichem Geschwätz mit
einem älteren Herrn um die siebzig, der mir unbedingt erzählen
musste, dass er sein Fahrrad kürzlich ins Museum gegeben habe, welches
er seit seinem zehnten Lebensjahr hatte. Man habe sich dort riesig gefreut.
‚Aha’, denke ich ‚ob ich mein Koga Miyata auch mal so
weit kriege?’ Ich beschließe, dass ich’s versuchen will.
Bis jetzt habe ich auch keinen Kilometer damit verpasst, mal sehen wie
viel man in einem Leben schaffen kann. Sicherlich nicht soviel wie Tilmann
Waldthaler, ein Radnomade, der über 400.000 km radelnd zurückgelegt
hat und der gerade seine letzte große Tour vom Nordkap nach Neuseeland
plant. Aber bestimmt doch noch ein Vielfaches von 10.000 km, so hoffe
ich.
Meine Gedanken an zukünftige Kilometer vertreibend, machen Franziska
und ich uns wieder auf den Weg, radeln den Kottmar weiter bergab und wollen
uns gerade vom Spreeradweg verabschieden und nach Zittau abbiegen, als
uns zwei bekannte Radfahrer entgegen kommen: „Wart ihr schon oben?“
– „Ja, falls ihr bis ganz nach oben wollt: Der Aussichtsturm
und die Bergbaude haben zu.“ – „Danke, das hatten wir
auch schon gehört!“
Belustigt über das erneute Zusammentreffen ging es weiter, allerdings
auch mit dem Wissen, dass es wohl das letzte war. Hatten wir doch einen
ordentlichen Vorsprung herausgefahren ging es nun also zur Neiße.
Der Veloroute D4 folgend wurden wir sicher und verkehrsarm nach Zittau
geleitet. Den Entschluss, nicht bis zur Neißequelle nach Tschechien
zu fahren, hatten wir gefasst, als uns klar wurde, dass wir nur noch den
morgigen Tag zur Verfügung hatten. Daher wollten wir noch die Neiße
bis nach Brandenburg entlang fahren um dort mit einem Brandenburgticket
günstig nach Berlin zu kommen. Etwas wehmütig, das Zittauer
Gebirge rechts liegen lassen zu müssen, gelangten wir also nach Zittau.
Seit dem Kottmar hatte sich das Streckenprofil geändert, es ging
jetzt sanft aber stetig bergab, so dass wir deutlich schneller vorankamen,
als auf dem Weg zu den Spreequellen. Auch entlang der Neiße änderte
sich daran nichts mehr. So kam es, dass wir schnell und zügig bis
nach Ostritz fuhren, wo wir beschlossen, im Kloster St. Marienthal einmal
noch in einer Pension zu schlafen. Wieder einmal kurz vor Schließung
der Rezeption traten wir ein und erfuhren, dass nur noch ein Zimmer für
77 € zu haben sei, was uns dann doch etwas zu viel war. Also fragten
wir kurzerhand noch in der Klosterschänke nach, was uns das letzte
freie Zimmer für 54 € mit klösterlichem Frühstück
einbrachte. Für einen Ort, der das Bett&Bike-Siegel vom ADFC
bekommen hat, war in unseren Augen das Preis-Leistungs-Verhältnis
unangemessen, besonders, was die sanitäre Einrichtung anging. Wahrscheinlich
konnte das Kloster bei der Vergabe mit seiner malerischen Kulisse punkten,
und einer etwas übertriebenen Gastfreundlichkeit. Aber dazu am nächsten
Tag mehr…
An
der Spreequelle am Kottmar (486m)
6. Tag: Kloster
St. Marienthal – Forst (Lausitz), 117 km
Wie immer
begann unser Tag kurz vor acht Uhr, pünktlich zum Beginn des Frühstücks.
Das morgendliche Licht der gerade aufgegangenen Sonne hüllte die
Klosteranlage und seine Umgebung in satte, warme Farben. Das Wetter hatte
bereits einen leicht spätsommerlichen Charakter, mit tiefblauem Himmel
und kürzer werdenden Tagen. Schade, dass wir nicht vor dem Frühstück
die Fotos schossen, sondern danach, als die Sonne deutlich gleißender
schien.
Das Frühstück wurde im inneren Bereich der Anlage, im gleichen
Flügel wie die Klosterkirche, bereitet, wohin man nur mit Schlüssel
gelangte. Also sind im Preis auch Exklusivbesichtigungen enthalten. Aha.
Als wir endlich die Essstube fanden, es war gerade 8:05 Uhr, saßen
bereits sämtliche andere Gäste (bis auf eine Ausnahme) bereits
zu Tisch. Und zwar nicht auf die drei vorhandenen Tische verteilt, sondern
an einem Tisch. Es herrschte Totenstille, bis auf gelegentliches Schmatzen
und Schlürfen, das trotz größter Bemühung nicht zu
überhören war. Na toll. Die letzten übrig gebliebenen Teller
befanden sich um die Situation zu perfektionieren genau zwischen zwei
sich herausgebildeten Vierergruppen – ein untrügliches Zeichen,
dass es sich nicht um eine einzige Gruppe handelte. Rechts von mir saß
eine Dame um die hundert – ich meine 100 kg. Links von mir ein älteres
Ehepaar aus Pforzheim, das sich im Flüsterton den Kaffee reichte.
Ich ging um Tee zu holen. Ein Schild mit der Aufschrift „Teewasser“
stand auf einem großen heizbaren Wasserbottich. Ich goss das Wasser
in die Tasse. Ich hielt den Finger hinein – das Wasser war kalt.
Jetzt, reichte es mir: „Weiß jemand, wer hier für das
Frühstück zuständig ist?“ sprach ich mit lauter und
fester Stimme. Man beschrieb mir den Weg zur Küche – endlich
mal normale Konversation. Ich hatte schon fast geglaubt wir hätten
mit unserem Zimmer und dem Frühstück zwei Stunden gemeinsames
klösterliches Schweigen mitgebucht – in der Küche dann
die Info, heißes Teewasser sei in der roten Kanne. Achso, in der
kleinen roten neben dem großen Bottich mit kaltem Wasser. Wie konnte
ich das missverstehen…
Also frühstückten wir in betretenem Schweigen. Ich gab mir keine
Mühe, leise zu essen oder leise zu sprechen, damit vielleicht auch
die anderen etwas ungezwungener wurden. Es half jedoch nichts. Bis schließlich
Schwester Anna, die Äbtissin des Klosters, in voller Nonnentracht
hereinplatzte:
„Guten Morgen! Ich bin Schwester Anna, die Äbtissin. Ich vertrete
Schwester Renata, die sonst immer die Reisenden begrüßt. Ist
ihre Reisegruppe gestern angekommen?“ – „Äh, wir
sind keine Gruppe“, sagte jemand.
„Wir haben uns nur der Tischordnung angepasst“, sagte ich.
„Achso“, stammelte Schwester Anna. Es fiel ihr sichtlich schwer
das Thema zu wechseln. Sie tat, was man eben tut, wenn sich ein Haufen
Fremder zusammen findet. Sie fragte jeden einzelnen wer er ist, woher
er kam und wieso er hier im Kloster schlief. Gut, dass wir uns nicht an
die Hände fassen mussten. Es folgten belanglose und für uns
uninteressante Dialoge über Schwester soundso und Pfarrer sowieso.
Natürlich mussten auch wir erzählen, wie weit wir gefahren sind,
wohin es noch gehen soll und so weiter. Als dann endlich die Erlösung
nahte und Schwester Anna sich aufmachte zu gehen, verabschiedete sie noch
jeden einzelnen. Uns wünschte sie, dass wir die Strapazen gut überstehen
mögen. Wir sagten, wir hätten Urlaub, es sei alles bestens.
Immerhin, das Schweigen war passé, auch die merkwürdige Stimmung
war fort. Als wir uns auf den Weg zurück machten, stellten Franziska
und ich fest: seltsam und skurril, aber nicht alltäglich! Auf jeden
Fall einen Besuch wert!
Von Ostritz radelten wir schließlich weiter nach Görlitz, einer
Stadt mit fast unzerstörter Altstadt. Wir staunten über ihre
Schönheit, über die vielen Türme und den scharfen Kontrast
zwischen polnischer und deutscher Seite. Wir tranken Tee in einem Künstlercafé,
das uns mit Mohnkuchen nach original schlesischem Rezept lockte, und blickten
vom Café hinüber zum polnischen Stadtteil. Der Kellner und
wahrscheinlich auch Betreiber mit origineller Rahmenbrille in rosa Farbe
versprühte gute Laune. Ich fragte, woher er das Rezept habe. Er sagte,
er habe es bei einem alten Schlesier gelernt. Auf die Frage nach meinem
Radtrikot vom Trisport Schwerin (mein Triathlonverein in Mecklenburg),
fragte er natürlich, ob wir von Schwerin nach Görlitz gefahren
seien, seine Oma käme aus Gadebusch (unweit von Schwerin), er sei
jedoch sehr froh in Görlitz. Wie weit wir noch fahren wollten, fragte
er. Bis Brandenburg, antworten wir. Entsetzt über unser Pensum zählte
er uns all die herrlichen Dinge auf, die wir dann verpassen würden,
worauf ich antwortete, die Zeit sei begrenzt, man könne nicht alles
sehen.
„Die Kunst des Lebens ist es, sich die Zeit zu nehmen“, philosophierte
er.
Was für ein Spruch! Meine ganze letzte Teeschale grübelte ich
darüber nach. Schließlich befand ich: Ich war anderer Meinung:
Die Kunst des Lebens ist es, sich für die wesentlichen Dinge zu entscheiden.
Leider konnte ich ihm das nicht mehr sagen. Dennoch, er wettete fünf
Euro, dass wir es nicht bis Brandenburg schafften. Ich muss ihn wohl mal
anrufen, denn er wusste nicht, dass es unser letzter Tag auf dem Rad sein
würde.
Mit diesen Weisheiten im Gepäck hätten wir eigentlich noch ein
paar Wochen unterwegs sein können. Allerdings stellten wir fest,
dass wir einen vollkommenen und ausgefüllten Urlaub auf dem Fahrrad
hatten. Wir haben verschiedene Landschaften, Städte und Museen gesehen,
verschiedene Menschen gesprochen und verschiedene Dialekte gehört.
Wir haben uns auf dem Rad angestrengt und bei einem Bier mit überwiegend
gutem Essen oder in der Therme wieder entspannt, sind nach Osten, Süden,
Westen und wieder nach Norden gefahren und hatten doch die meiste Zeit
Rückenwind und gutes, spätsommerliches Wetter.
Radlerherz, was willst du mehr!
Dass es genug war beschlossen wir beim Mittag, woraufhin wir mit dem höchsten
Durchschnittstempo der Tour (etwa 26 km/h, Franziska schön im Windschatten)
nach Forst (Lausitz) fuhren, weil wir Angst hatten, den Zug zu verpassen.
In Forst in den Zug eingestiegen – und schon war eine Woche Fahrradfahren
im schönen Osten Deutschlands vorbei.
Blick
von unserer Unterkunft auf das Kloster St. Marienthal an der Neiße
Im
Kloster St. Marienthal, Neiße: übrigens mit dem östlichsten
Weinberg Deutschlands
Portal |