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Erste Hilfe bei Verletzungen - Ist die PECH-Regel noch aktuell? Kristna Jago 07/2023 Bei Sportverletzungen
ist schnelle Erste Hilfe gefragt. Dafür gibt es seit jeher die PECH-Regel
(im Englischen: RICE). Diese Abkürzung soll dafür sorgen, dass
sich jeder Sportler und jede Sportlerin die Sofortmaßnahmen P-ause,
E-is, C-ompression und H-ochlagern merken kann. Muskelzerrung, Verstauchung
oder Prellung vom Laufen? "Laufpause, Bein hochlegen, kühlen,
ist doch klar!", denkt jeder jetzt. Beim Thema Eisanwendung und Kühlen
hagelt es aus Expertenkreisen schon lange Kritik. Denn die positive Wirkung
von Eis nach Sportverletzungen ist wissenschaftlich gar nicht bewiesen
- physiologisch gesehen bewirkt Kühlen sogar das Gegenteil von dem,
was wir erreichen wollen. Und jetzt? Was ist die PECH-Regel? Verletzt
sich jemand beim Sport, ist nicht immer ein augebildeter Ersthilfer oder
eine Ärztin in der Nähe. Gerade bei Sportunfällen beeinflusst
schnelle Hilfe den Heilungsverlauf jedoch maßgeblich. Diese schnelle
Hilfe soll die PECH-Regel gewährleisten. Sie steht für vier
einfache Sofortmaßnahmen, die jeder Laie selbst durchführen
kann. Und mit der Abkürzung PECH kann man sich Pause, Eis, Compression
und Hochlagern auch gut und einfach merken. Wofür steht die PECH-Regel? Die PECH-Regel steht für die vier Anfangsbuchstaben von möglichen Sofortmaßnahmen nach einem Sportunfall: Pause, Eis, Compression und Hochlagern. Das bedeutet im Detail: P-ause: Die sportliche Tätigkeit pausieren, um die Verletzung genau zu untersuchen und das betroffene Körperteil ruhigzustellen. E-is: Kühlen der verletzten Körperstelle mit Eis, Eiswasser, einem Coolpack oder Eisspray. C-ompression: Leichten Druck auf die verletzte Körperregion bringen, zum Beispiel mit einem elastischen Druckverband. H-ochlagern: Lagerung der betroffenen Körperstelle höher als das Herz. Das Ziel des PECH-Schemas ist es, Einblutungen und Schwellungen so gering wie möglich zu halten oder im Optimalfall ganz zu vermeiden. Diese Wirkung ist jedoch (wissenschaftlich) umstritten. Wann sollte man die PECH-Regel anwenden?Die PECH-Regel ist eine Kombination von Sofortmaßnahmen. Bei der Anwendung gilt im Akutfall also: Je schneller, desto besser. Am besten sofort. Aber für welche Verletzungen gilt die PECH-Regel eigentlich? Die PECH-Regel eignet sich für leichte (Sport-)Verletzungen, bei denen es keine offenen Wunden gibt. Dazu zählen Muskelverletzungen wie Muskelzerrungen, Bandverletzungen wie Verstauchung oder Bänderdehnung und Prellungen. Wann darf die PECH-Regel nicht angewendet werden?Die PECH-Regel gilt nicht für offene Verletzungen, Blutungen oder Unfallfolgen mit Fehlstellungen einzelner Körperteile. Wie lange sollte man die PECH-Regel anwenden?Die PECH-Regel gilt vor allem für die ersten 24 Stunden nach einer Verletzung. Wenn am Unfallort kein Arzt verfügbar war und die Beschwerden am zweiten Tag so stark sind, dass eine ernsthafte Verletzung nicht ausgeschlossen ist, sollte man einen Arzt aufsuchen. Natürlich sieht die PECH-Regel nicht vor, dass man 24 Stunden lang kühlt. Eisanwendungen sollten, wenn sie durchgeführt werden, maximal fünf Minuten dauern. Kälteanwendungen können auch bis zu zehn Minuten auf der Haut verbleiben. Dazwischen sollten jedoch Pausen von mindestens 30 bis 45 Minuten liegen. Der Kompressionsverband kann für die ersten 24 Stunden angelegt bleiben, darf jedoch nicht die Durchblutung behindern oder abschnüren. Um durch Hochlagerung eine Verbesserung des lymphatischen Rückflusses zu erreichen, sollte man den Arm oder das Bein mindestens 20 Minuten lang hochlegen. Ist die PECH-Regel noch aktuell?Die bessere Frage ist eigentlich: War die PECH-Regel jemals aktuell? Denn obwohl Sportler und Sportlerin fast wie selbstverständlich nach einer Verletzung oder auch nach Operationen zu Eis oder Cool-Pack greift, ist wissenschaftlich eigentlich gar nicht nachgewiesen, dass es gegen Schmerzen oder die Entwicklung einer starken Schwellung hilft. Was passiert in unserem Körper, wenn wir uns beim Sport verletzen: die drei Wundheilungsphasen. Sie heißen Exsudationsphase (auch: Entzündungsphase oder Reinigungsphase), Granulationsphase (auch: Proliferationsphase) und Differenzierungsphase (Epithelisierungsphase oder Remodellierungsphase). Nehmen wir als Beispiel eine Muskelzerrung in der Wadenmuskulatur, nachdem wir beim Traillaufen ungünstig aufgekommen und umgeknickt sind. Der Körper reagiert auf die kurzfristig zu starke Überdehnung der Muskelfasern initial mit einer Entzündungsreaktion, der Entzündungsphase. Charakteristisch in der Entzündungsphase sind Schmerz, Rötung und Erwärmung. Die Entzündungsphase löst die Gerinnungskaskade aus. Diese sorgt für die Aktivierung verschiedener Gerinnungsfaktoren, die das Blut in der Verletzungsregion innerhalb von etwa drei bis zehn Minuten gerinnen lassen und so die Blutung stillen. Es entsteht ein stabiles Fasernetz, das die Voraussetzung für die weitere Wundheilung schafft. Ein temporäres körperinternes vorübergehendes Schnellpflaster sozusagen. Diesen gesamten Prozess der Blutgerinnung nennt man in der Fachsprache Hämostase. Parallel ziehen sich die Gefäße im verletzten Gebiet zusammen (Vasokonstriktion), um starke Blutverluste zu verhindern, während sich die weiter entfernt liegenden Gefäße weiten (Vasoldilatation) und die Durchlässigkeit aller noch intakten umliegenden Zellen steigt. Auf diese Weise optimiert unser Körper den Transport von Nährstoffen und Plasmazellen zur Verletzungsregion. Die Entzündungsphase dauert insgesamt etwa drei Tage. Was tun wir laut PECH-Schema in dieser ersten Verletzungsphase? Wir bleiben stehen, setzen uns, legen uns evtl. hin, packen Eis auf den schmerzenden Unterschenkel und legen das Bein hoch. Auf die plötzliche Temperaturabnahme im Gewebe reagiert unser Körper, indem sich unkontrolliert alle umliegenden Gefäße zusammenziehen (Vasokonstriktion). Die Durchblutung nimmt wie gewünscht ab, gleichzeitig allerdings auch die Versorgung der Zellen mit Nährstoffen über die Blutbahn. Ab einer Zellkerntemperatur von 28°C stagniert die Funktionsfähigkeit der Zellen sogar fast komplett. Nehmen wir das Eis wieder weg, ist das erste Ziel unseres Körpers, die optimale Zelltemperatur wiederher- und die Nährstoffversorgung sicherzustellen. Das erreicht er durch eine Weitstellung der Gefäße (Vasodilatation), durch die plötzlich viel mehr Blut zur verletzten Muskulatur strömt als vom Körper eigentlich geplant. Zu diesem Zeitpunkt ist die Stabilität des körpereigenen Pflasters noch nicht ausreichend, sodass jetzt möglicherweise eine stärkere Schwellung entsteht als es ohne Eisanwendung der Fall wäre. Mit der Anwendung von Eis durchkreuzen wir also bewusst den für den körpereigenen Heilungsprozess notwendigen Mechanismus. Warum eine starke Schwellung (Ödem) schlecht für die Wundheilung ist? Weil der durch zusätzliche Gewebeflüssigkeit entstehende Druck die Durchblutung und damit die Nährstoffversorgung behindert und zu Schmerzen führen kann. Außerdem vermindern Schwellungen die Beweglichkeit. Nicht nur als Sofortmaßnahme, sondern auch mehrere Stunden nach der Verletzung, kühlen wir die Verletzung. Weil es sich irgendwie gut anfühlt. In dieser Zeit ist der Körper damit beschäftigt, die Entzündung richtig in Gang zu bringen, um verletztes Gewebe und Fremdkörper zu entfernen. Dafür werden Entzündungsmediatoren benötigt, sogenannte Zytokine. Diese werden jedoch in geringerer Menge ausgeschüttet, wenn wir Eis auf die Verletzung legen. In der zweiten Wundheilungsphase, der Granulationsphase oder Proliferationsphase, entstehen im Verletzungsgebiet neue Gefäße und eine neue Gewebestruktur. Damit sich das neue Gewebe so ausbilden kann wie wir es beim Sport und im Alltag brauchen, müssen wir den verletzten Bereich seiner Funktion entsprechend bewegen. Hinsichtlich unserer Wadenzerrung ist es also wichtig, dass wir unseren Fuß und das Knie beugen und strecken und uns vielleicht schon auf die Zehenspitzen stellen, um die Wadenmuskulatur anzuspannen. Diese Bewegung muss jedoch an die Belastungsfähigkeit des Gewebes angepasst sein, damit sie förderlich ist. Hier kommt der Schmerz ins Spiel. Kälteanwendungen wirken hemmend auf die Schmerzwahrnehmung, weil sie die Funktion der Schmerzrezeptoren behindern. Nicht sofort, aber bei längerer Eisanwendung. Die gekühlte Wadenmuskulatur lässt sich also stärker beanspruchen als die ungekühlte. Bewegungen über die aktuelle Belastungsfähigkeit des heilenden Gewebes hinaus können Folgen haben, die erst viel später auffallen: Um die Stabilität des heilenden Gewebes zu erhalten, produziert unser Körper vermehrt Narbengewebe. Auf diese Weise kann es zu Gewebeverhärtungen und Bewegungseinschränkungen kommen. Die dritte Wundheilungsphase, die Differenzierungsphase oder Remodellierungsphase, schließt die Wundheilung etwa nach dem zehnten Tag ab. Die in den vorigen Tagen gebildeten Fasern stabilisieren sich und die Wunde zieht sich zusammen. Wichtig für den Wiedereinstieg in den Sport: Narbengewebe ist aufgrund der Faserzusammensetzung qualitativ immer etwas schlechter als das Ursprungsgewebe. Deshalb sollte man immer achtsam wieder in den Trainingsplan starten. Gibt es eine Alternative zur PECH-Regel?Eine Alternative zum PECH-Schema ist FIT. FIT steht als Abkürzung für Funktion, Information und Therapie. Während die PECH-Regel zu absoluter Ruhe rät, sucht FIT die bestmögliche Belastung für den verletzten Bereich, mit dem richtigen Kraftaufwand und dem richtigen Bewegungsausmaß. FIT basiert auf der Annahme, dass Regeneration und (Selbst-)Heilung schneller und besser funktionieren, wenn die Zellaktivität im verletzten Bereich erhöht ist. Dafür ist wie oben beschrieben eine optimale Versorgung der Zellen mit Nährstoffen und Sauerstoff notwendig. Und die erreicht man laut der Autoren von "Die Natur weiß es einfach besser. In: Erste Hilfe bei Sportverletzungen." mit schmerzadaptierter Bewegung, aber nicht mit Eisanwendungen. Alternativen für die Eisbehandlung nach PECH-Schema:
Wichtig zum Schluss: Wissen ist Macht. Nichts wissen im Falle einer Sportverletzung ist ungünstig. Und der Stellenwert von Selbstwirksamkeit im Fall der Fälle ist nicht zu unterschätzen. Deswegen haben allgemein bekannte Regeln wie die PECH-Regel durchaus ihren Sinn. Pause und Innehalten nach einer Verletzung ist selbstverständlich. Die Information, dass es mitten im Nirwana kein Eis braucht, um seinen geschundenen Körper bei der Genesung zu unterstützen, entspannt hier und da sicher die Gesamtsituation. Einen brunnenkalten Fluss oder lauwarmes Wasser aus der Trinkflasche und ein T-Shirt als Umschlag hat man beim Laufen eher parat. Compression verfolgt nicht nur das Ziel, eine Einblutung und Schwellung zu verhindern, sondern hat auch einen stabilisierenden Effekt. Das H für Hochlagern könnte man für leichte Verletzungen als Hin- und Herbewegen (schmerzadaptiert) abspeichern. Fazit: Die PECH-Regel ist überholt, im Notfall aber trotzdem hilfreichDie PECH-Regel steht für vier Sofortmaßnahmen nach Sportverletzungen: Pause, Eis, Compression und Hochlagerung. Insbesondere die Anwendung von Eis ist wissenschaftlich umstritten. Durch das Herunterkühlen der verletzten Körperregion wird die natürliche Wundheilung ausgebremst, weil die geschädigten Körperzellen anfangs durch die Verminderung der Durchblutung schlechter versorgt werden. Beendet man die Eisanwendung, sorgt der Körper für die Erhöhung der Zelltemperatur zurück auf 37°C, indem die Durchblutung ansteigt und das sich regenerierende Gewebe so stark belastet, dass bereits erfolgte Heilungsprozesse wieder zerstört werden. Um die Versorgung der Körperzellen mit Nährstoffen über das Blut nicht zu behindern, sind daher im Akutfall kühle oder lauwarme Umschläge sinnvoller. Im therapeutischen Bereich werden mit wassergefiltertem Infrarotlicht A (wIRA) gute Ergebnisse hinsichtlich der Wundheilung und Schmerzlinderung erreicht. Eine Alternative zum PECH-Schema ist das Prinzip FIT. Es steht für Funktion, Information und Therapie und stellt schmerzadaptierte Bewegung in den Vordergrund.
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