Tai Chi

Tai Chi, auch: Tai Chi Chuan, Taijiquan, Taiji oder "Schattenboxen", ist eine traditionelle chinesische Bewegungskunst. Die langsamen, weichen und ineinander übergehenden Bewegungen (Schattenboxen in Zeitlupe) haben meditativen Charakter, und zeichnen sich durch ihren philosophischen Hintergrund aus. Die Bewegungsabläufe sollen zu innerer Ausgeglichenheit, Konzentration, zum Abbau von Spannungen und Förderung des gesundheitlichen Wohlbefindens beitragen.

Durch einige Minuten Entspannung täglich kann ein Weg gefunden werden, Tai Chi gezielt und bewusst zu nutzen, ohne in sportliche Extreme zu verfallen. Man lernt durch ständige Wiederholung und Übung, am besten in Gruppen.

Tai Chi beruht auf den vor zweitausend Jahren in China begründeten philosophischen Überlegungen des Taoismus, aus deren Theorien sich verschiedene Methoden (z. B. die Traditionelle Chinesische Medizin mit der Akupunktur etc.) herausgebildet haben. Im 12. Jahrhundert vereinte der chinesische Mönch Chang Sang-Feng einige dieser Richtungen zum Tai Chi Chuan, basierend auf den Begriffen Tai Chi (das höchste Prinzip, Lehre von "Yin und Yang") und Chuan (Faust, Form).

Tai Chi führt als alte chinesische Bewegungskunst, welche ihrem meditativen Charakter und philosophischem Hintergrund streng verbunden ist, durch langsame, weiche und ineinander übergehende Bewegungen zu innerer Ausgeglichenheit und Konzentration, zum Abbau von Spannungen und Förderung des gesundheitlichen Wohlbefindens. Während Tai Chi in früheren Zeiten vor allem als Kampfkunst (besonders beeinflusst durch die Künste des Kung Fu) praktiziert wurde, steht heute der gesundheitliche Aspekt der weichen Bewegung und der Förderung von Flexibilität an erster Stelle. Erst nach Erlernen der Grundlagen können auch Waffenformen wie Stöcke oder Schwerter in das Übungsprogramm aufgenommen werden, die in die Bewegung integriert werden.
Tai Chi verzichtet als ganzheitliche Entspannungsmethode im Gegensatz zum westlichen Leistungssport auf jegliche Extreme, sondern will durch körperliche und geistige Erholung auf bewusste Weise zu mehr Aufmerksamkeit und Ausgeglichenheit verhelfen.
Auch die Meditation passiert beim Tai Chi in Bewegung, weil die gezielten Bewegungsabläufe zu einer meditativen Geisteshaltung führen. Die meditativen Aspekte des Tai Chi stehen in wichtiger Verbindung mit den Grundsätzen des Qi Gong. Es handelt sich dabei um eine Entspannungstechnik des alten Chinas mit unterschiedlichen Stilen und Formen, die alle das innere Training bzw. innere Arbeit zum Ziel haben und auf Meditation und Sammlung des Geistes ausgerichtet sind.

Was die gesundheitliche Wirkung betrifft, hat das Tai Chi besonderen Einfluss auf die Stärkung des Rückens durch die Dehnung der Wirbelsäule, sowie durch eine gleichmäßige Beanspruchung von Muskeln und Sehnen. Außerdem optimiert eine gerade Rückenhaltung die Arbeit des Nervensystems, das wiederum für die Regulierung aller lebensnotwendigen Körperfunktionen zuständig ist. Nach dem Konzept des Tai Chi stehen Körper und Geist durch einen feinstofflichen Körper Energiekörper miteinander in Verbindung, so dass die körperlichen Übungen auch Einfluss auf den spirituellen Geisteszustand haben. Das kann nach langem Training dazu führen, sich selbst als ganz verbunden mit der Umwelt und den Mitmenschen zu empfinden.
In jedem Fall ist es wichtig, dass man Tai Chi bewusst und konzentriert trainiert. Denn bei den einfach aussehenden Übungen geht es immer um ganz bewusste und gezielte Bewegungs- und Haltungsprinzipien. Die Tradition und die Bedeutung sowie der philosophische Hintergrund der verschiedenen Bewegungsformen sollten immer im Hinterkopf bewahrt werden, um Tai Chi wirklich sinnvoll zu betreiben.

Im Prinzip geht es im Tai Chi um die Übung auf drei verschiedenen Ebenen.

» Körperliche Ebene: Der Körper wird durch die Bewegung trainiert und in geringstmögliche Grundspannung gebracht. Die Muskeln, Gelenke und Sehnen werden gleichmäßig beansprucht und auf diese Weise geschmeidig und flexibel. Durch richtige Atmung wird der Körper optimal entspannt, Haltungsfehler werden korrigiert.
» Energetische Ebene: Der freie Fluss der Energie "Qi" (früher: Chi) wird ermöglicht, körperliche Beschwerden werden gemindert und Spannung fällt ab.
» Geistige Ebene: Innere Konzentration und Ruhe führen zu Ausgeglichenheit und Entspannung des Geistes, zu innerem Frieden und Freude der Seele.

Die fünf Grundbewegungen sind:

  • Vorgehen
  • Zurückgehen
  • nach links blicken
  • nach rechts blicken
  • Zentrieren des Gleichgewichts

Die acht Grundtechniken für die Arme bestehen aus:

  • Abwehren
  • Ziehen
  • Zurückweichen
  • Trennen
  • Drücken
  • Ellbogenstoss
  • Stossen
  • Schulterstoss

Die Bewegungen des Tai Chi werden abwechselnd nach dem Prinzip des Yin und Yang (Traditionelle chinesische Medizin) aneinandergereiht. Das Yin ist dadurch gekennzeichnet, dass die Bewegungen einen zurückweichenden Charakter haben und die Arme sich nach unten und innen bewegen, während sich bei einer Yang-Bewegung der Körper nach vorne schiebt und die Arme nach oben und aussen gehoben werden. Indem die Yin- und Yang-Bewegungen regelmässig abwechseln, stärkt sich die Lebensenergie Qi.

» Grundübung zum Entspannen:
Die Füße stehen in schulterbreitem Abstand voneinander, die Knie sind leicht gebeugt, Rücken und Kopf aufrecht, die Arme locker an den Seiten.
Strecke dich beim Einatmen auf die Zehenspitzen, führe die Arme in einem großen Bogen seitwärts über den Kopf und strecke sie so weit du kannst. Beim Ausatmen lass sie sinken und kommen dabei wieder auf die Fußsohlen zurück.

Die Partnerübungen
Diese sind ganz besonders wichtig im Tai Chi, denn sie lehren, Bewegung zu sehen und bewusst zu beobachten, gezielt damit umzugehen und darauf zu reagieren. Die wichtigste Grundübung ist das "Pushing hands - Tui-Shou" (Hände schieben), für das es viele Erweiterungen und Verfeinerungen gibt. Man versucht dabei, sehr bewusst mit den Bewegungen des Partners umzugehen, ohne ihnen Widerstand entgegenzusetzen oder den eigenen Halt zu verlieren.
Die wichtigsten Grundsätze sind:
Die Balance von Yin und Yang (den Körper mit sich selbst in Einklang bringen).
Den Körper von aller Gewalt und Anspannung zu befreien und doch wachsam zu sein.
Seinen Partner "hören", so dass jede seiner Bewegungen vorhersehbar wird.
Man unterscheidet die traditionellen Partnerübungen und das freie improvisierte Üben. Partnerübungen bilden eine Basis für wahres Können im Tai Chi Chuan aber auch für die Erlernung der Kampftechniken und der Möglichkeiten der Selbstverteidigung im Tai Chi.

Übungen
» Die Vorbereitung:
Schulterbreiter Stand, Knie leicht gebeugt, Arme bei entspannten Schultern vor- und zurückschwingen lassen. Den Körper aus der Taille nach links und rechts drehen, die Arme mitschwingen lassen. Arme nach vorne strecken, Hände mehrmals zu Fäusten ballen, ausschütteln. Füße kreisen, sanft mit dem Kopf kreisen, Arme kreisen aus dem Schultergelenk heraus.
» Eröffnung:
Mit dem Gesicht nach Süden stehen, Füße nach außen gerichtet, Becken leicht nach vorne gekippt, Wirbelsäule aufgerichtet, weich in den Knien. Gewicht nach rechts verlagern, links einen Schritt in den schulterbreiten Stand, Zehen beider Füße nach vorne. Gewicht auf beide Füße verteilen.
Arme ausgestreckt mit entspannt hängenden Händen auf Brusthöhe heben ("schweben" lassen), Schultern und Nacken nicht anspannen. Mit dem Ausatmen die Finger heben, bis sie nach vorne zeigen, Handgelenke leicht absinken lassen. Ellbogen beugen und Arme leicht anziehen. Arme seitlich des Körpers sinken lassen, leicht in die Knie gehen. Vorstellen, dass von den Füßen Wurzeln in die Erde wachsen und der Körper mit einem goldenen Faden am Scheitel am Himmel angebunden ist.
» Rechtsdrehung:
Gewicht nach links verlagern, Oberkörper nach rechts drehen, der rechte Fuß dreht auf der Ferse mit. Den rechten Arm beugen und fast senkrecht anheben, Handfläche nach unten. Linken Arm anheben mit Handfläche nach oben als imaginäre Schale für den rechten Ellbogen, jedoch den Ellbogen nicht berühren. Den rechten Fuß aufsetzen, das Gewicht auf ihn verlagern, Knie über den Zehen. Blick über die rechte Hand, die sich in Kinnhöhe befindet, auf den Horizont, Rücken aufrecht.

» Händeschieben:
Die Partner stehen sich gegenüber. Dabei steht jeweils das linke Bein vorn. Die linken Füße sollen parallel, in etwa 30 cm Abstand voneinander stehen. Die rechten Beine werden möglichst weit nach hinten gestellt, wobei die Füße um 45° nach außen gedreht sind, um einen festen Stand zu erreichen.
Lege nun die Hände etwa in Brusthöhe gegen die des Partners und schiebt euch gegenseitig vor und zurück. Wichtig ist, dass die Bewegung nicht aus dem Oberkörper, sondern durch Gewichtsverlagerung aus dem Becken und den Beinen kommt.
Nachdem man das eine Weile geübt wurde, kann man sich zusätzlich auf die Atmung konzentrieren: Atme beim Zurückweichen tief mit dem Bauch ein und beim Vorwärtsschieben aus. Achte darauf, dass Arme und Schultern locker sind.

 

 

Tai-Chi – gesunde Kampfkunst Christine Wolfrum / Apotheken Umschau 06/2010

Die fernöstliche Sportart macht vital, fördert die Gesundheit und schärft die Wahrnehmung

Wie in Zeitlupe geht das linke Bein nach vorne. Die Ferse setzt auf. Das Gewicht wird verlagert, der Fuß rollt langsam ab. Gleichzeitig geht die rechte Hand auf Schulterhöhe nach vorne – ein Stoß gegen einen imaginären Gegner. Im selben Augenblick wird ein Fußtritt dieses Kontrahenten mit der linken Hand in einer kreisenden Bewegung abgewehrt. Alle Figuren fließen gleichmäßig und koordiniert. „Nahtlos reiht sich beim Tai-Chi-Chuan Sequenz an Sequenz. Jeder Körperteil bleibt ständig in Bewegung, baut sanft Spannung auf und löst sie wieder“, erklärt Professor Klaus Moegling vom Institut für Sportwissenschaft und Motologie an der Universität Marburg.

Dabei ist das Ende der einen Haltung zugleich der Beginn der nächsten, einschließlich weicher Übergänge. Spüre selbst einmal den beschriebenen Abläufen nach. Man merkt gleich, dass man dabei aufmerksam und konzentriert sein muss. Diese Sequenz trägt den Namen „Das Knie streifen“. Solche Bewegungsbilder setzen sich zu sogenannten Tai-Chi-Formen zusammen, die je nach Ausführung und Wiederholungen wenige Minuten, aber auch bis zu eine halbe Stunde dauern.

Wörtlich übersetzt heißt Tai-Chi Firstbalken, also der stabile Balken, der ein Dach zusammenhält. „Übertragen meint es das Prinzip, das hinter allem Leben steht, das aber niemand in Worte fassen kann“, erläutert Sportwissenschaftler und Tai-Chi-Chuan-Lehrer Moegling. Der Zusatz Chuan – übersetzt als „die leere Faust“ – weist dagegen auf den Kampf hin. Diese Bewegungsart verbindet uralte Kampfkünste mit Atemtherapien, Heilgymnastik und Meditation aus dem alten China und wirkt damit auf Körper, Geist und Seele.

Ihre Wurzeln sollen in taoistischen Klöstern liegen. Wie die besonderen Formen dieser Methode entstanden, berichtet eine Legende: Im 13. Jahrhundert beobachtete der taoistische Meister Zhang Sanfeng den Kampf einer Schlange mit einem Kranich. Dabei erkannte er, dass die Schlange den Schnabelstößen des Vogels geschmeidig auswich, und entwickelte daraus ähnliche Figuren eines rituellen Kampfs. Das heutige Tai-Chi-Chuan ist wohl erst Anfang des 17. Jahrhunderts entstanden und mündete in zahlreiche Stile und Schulen. „In jedem Jahrhundert hat sich Tai-Chi-Chuan verändert. Der Chen-Stil gilt als der älteste, der Yang-Stil als am weitesten verbreitet“, erläutert Moegling. Die schnellen Abfolgen von Sprüngen und Stampfen des Yang-Stils wandelte man in die heute bei uns gebräuchlichste langsame Variante um. Dadurch kann der Übende intensiver entspannen und die gesundheitlichen Wirkungen über kontinuierliche, fließende Bewegungen verstärken. Für Menschen mit Rückenproblemen oder einer Gelenkarthrose ist das von Vorteil.

„Wer mit Tai-Chi-Chuan beginnt, erlebt durch die Langsamkeit der Bewegungen erst einmal, was er in jedem einzelnen Moment tut“, erläutert Dr. Michael Plötz, Facharzt für Allgemeinmedizin in Hamburg. Für viele ist das ungewohnt, sodass sie sich sehr konzentrieren müssen. Mancher Anfänger spürt dann zum ersten Mal, wo er sich verspannt. Vielleicht bemerkt er auch, dass es Muskeln gibt, von denen er bislang nichts ahnte – schließlich besitzt unser Körper rund 400 davon. Tai-Chi-Chuan schult die Wahrnehmung nicht nur dafür.

Von der ersten Stunde an setzt sich der Übende damit auseinander, wie er der Schwerkraft trotzend die Balance halten kann. „Tai-Chi-Chuan ist wie Schwimmen an der Luft“, zitiert Plötz einen alten Meister. Bei trainierten Menschen wirken die Bewegungen tatsächlich geschmeidig, durchlässig und weich, dabei gleichzeitig so, als ob sie gegen Widerstände angehen müssten – so wie es auch im Wasser geschieht.

Weil ein ständiger Wechsel zwischen Bewegung und Gegenbewegung stattfindet, die ein Ganzes ergeben, nennen die Chinesen diesen Sport auch Yin-Yang-Bewegungskunst. „Yin und Yang stellen Gegensätze dar, die sich in allem finden und untrennbar miteinander verbunden sind“, erklärt Plötz, „so wie Tag und Nacht, Sonne und Mond, Leere und Fülle. Das An- und Entspannen wirkt über das Nervensystem auf viele Bereiche des Körpers und beeinflusst beispielsweise den Stoffwechsel und die Muskelspannung positiv und damit auch die Atmung.“

Doch nicht nur stressgeplagte Menschen profitieren von den Übungen, auch am Zentrum für Muskel- und Knochenforschung an der Charité Berlin setzt man Tai-Chi bei der Behandlung ein. Denn jeder Schritt, jede Bewegung erfordert das Zusammenspiel zahlreicher Muskeln. Haben sich im Lauf des Lebens Fehlhaltungen eingeschlichen, führt das zu dauerhaft falschen Belastungen und Muskeldefiziten, die sich aber meistens erst jenseits der 50 bemerkbar machen.

Bei einem koordinierten Bewegungsablauf ist auch der kleinste Muskel sehr wichtig, der möglicherweise nur einen leichten Zug in eine Richtung ausführt oder für den Gegenzug notwendig wird. „Da gilt Tai-Chi als ideale Trainingsform, weil es dabei um das feine Zusammenspiel von Muskeln für die jeweilige Funktion geht“, erläutert Professor Dieter Felsenberg, der das Zentrum an der Charité leitet.

Schon beim bloßen Stehen kann jeder selbst prüfen: Liegt der Fuß flach auf? Hat er in allen Bereichen Kontakt zum Boden? Wie wirkt sich das auf meine körperliche Stabilität aus? Doch nicht nur Balance und Koordination lassen sich mit Tai-Chi in idealer Weise verbessern, sondern auch die Muskelkraft, meint Knochen- und Muskelspezialist Felsenberg. Denn das Halten bestimmter Positionen macht aus den Abfolgen durchaus auch Kraftübungen. Obendrein wirkt Tai-Chi positiv auf die Festigkeit der Knochen. „Studien dokumentieren, dass das Training sowohl das Risiko von Stürzen als auch von Knochenbrüchen vermindern kann. Das gilt auch dann, wenn jemand erst jenseits der 70 damit beginnt“, bestätigt Felsenberg.

Tai-Chi-Chuan gehört wie Yoga oder Qigong zu den Bewegungskünsten, die vor allem vorbeugend wirken. Doch auch im Gesundheitssport für chronisch Kranke haben sie einen festen Platz. So gibt es beispielsweise im Rahmen der Rehabilitation herzkranker Patienten Praktiken des Tai-Chi, die Therapeuten in ein moderates Herz-Kreislauf-Training einbauen. „Gerade Herzpatienten sind oft sehr leistungsorientierte Menschen, die sich mit Spannung und Entspannung auseinandersetzen müssen“, betont Plötz. Das kann unter anderem mit Tai-Chi gelingen.

Das Besondere bei dieser Art von Bewegung: Selbst völlig Ungeübte und Ältere können damit beginnen und haben schnell Erfolgserlebnisse, wenn sie regelmäßig trainieren. Eine chinesische Weisheit bringt das Wesen der meditativen Bewegungsweise auf den Punkt: „Wer Tai-Chi-Chuan übt, wird geschmeidig wie ein Kind, stark und gesund wie ein Holzfäller und gelassen wie ein Weiser.“

 

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Regelmäßige Bewegung: Grundvoraussetzung für langes gesundes Leben

Sport ist ausgesprochen gesund, man muss nur die Zeichen zu interpretieren wissen, wenn man die Grenze dorthin überschreitet, wo sich akute und chronische Schäden einstellen können.

Entzündung ist ein Phänomen des gesunden Körpers
Viele sind wahrscheinlich der Ansicht, dass Entzündungen nur im Rahmen von Krankheiten auftreten, wie etwa bei Infektionen oder chronischen nicht-übertragbaren Krankheiten (Atherosklerose, Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs, Diabetes Typ 2, Multiple Sklerose, Darmerkrankungen etc.). Die neuesten wissenschaftlichen Daten sprechen eine andere Sprache. Entzündungen wurden als eine Verfassung/Zustand des gesunden Körpers erkannt. Bei diesem Zustand handelt es sich um einen systematischen niederschwelligen Prozess von enormer Bedeutung, der von Immun- und Nervensystem gut kontrolliert wird, wenn man gesund ist, und gut kontrolliert werden muss, wenn man gesund zu bleiben will. Es ist ein Prozess, der den Körper mit all seinen unterschiedlichen Funktionen umfasst.
Entlang sämtlicher Schleimhäute (Bronchien, Darm, Harnblase etc.), die uns mit der Außenwelt verbinden, laufen ständig entzündliche Reaktionen entsprechende Immunantworten ab und das unser ganzes Leben lang, entlang der Blutgefäße, in den Organen, überall arbeitet der Organismus nach diesem Prinzip, das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten.
Besonders die Schleimhäute, die ihre ganz eigene Mikroflora besitzen, sind Bereiche, an denen kontrollierte Entzündungsprozesse die Grenzen sichern, die Kommunikation mit der Umgebung initiieren und kontrollieren und so das Überleben nämlich einen Gleichgewichtszustand gewährleisten. Hier entscheidet sich, wer als Freund (Nährstoffe, Bakterien, Viren, Makromoleküle) und wer als Feind (z. B. Nährstoffe, Bakterien, Viren, Makromoleküle) behandelt wird. Diese Entscheidungen können für das Wohlergehen auch negativ ausfallen wie im Rahmen von Allergien oder Nahrungsmittelallergien etc.

Entzündungen sind folglich ein physiologischer/gesundheitsfördernder Prozess im Körper! Ob das jeweilige Molekül als Freund oder Feind behandelt wird (darum ist die Liste zwischen beiden Klammern die Selbe), hat viel mit dem Zustand des Milieus zu einem bestimmten Zeitpunkt zu tun. Wenn man krank oder besonderem Stress ausgesetzt ist, ob dies nur kurzfristig oder über einen langen Zeitraum der Fall ist, verändert sich das entzündliche Milieu und damit Ausprägung der Entzündung, sie wird stärker und stärker, bis man sich unter Umständen richtig krank fühlt. Diverse Stresssituationen, wie man sie im Training oder Wettkampf erlebt, können von Infekten über Allergien, Asthma bis hin zur Verletzung unterschiedlichste Gesundheitsprobleme auslösen.
Die multiplen systemischen Entzündungsprozesse, die in unserem Körper ablaufen, sind also, wenn sie unterschwellig bleiben, charakteristisch für einen Zustand des absoluten Wohlbefindens. Krankheiten oder Unwohlsein beginnen dann, wenn dieser Prozess abgleitet und außer Kontrolle gerät, was bei allen Krankheiten der Fall ist. Dieser Entzündungszustand wird von ein und demselben System, nämlich dem Stresssystem, angestoßen, aufrecht erhalten und auch kontrolliert. Es besteht aus Nervensystem, Immunsystem und Hormonen (endokrines System). Die Regulation (= auslösen, aufrecht erhalten, kontrollieren) der beschriebenen Prozesse durch die genannten Systeme erfolgt durch eine Vielzahl von Regelkreisen und Rückkoppelungsschleifen (Feedback Loops).

Was hat das mit sportlichen Aktivitäten zu tun?
Es ist heute allgemein bekannt, dass regelmäßige moderate körperliche Aktivität das Stresssystem so maßvoll stimuliert, dass sich das extrem positiv auf unsere Gesundheit auswirkt. So ist Bewegung die beste Option, um Krankheiten generell vorzubeugen. Bewegung dämpft Entzündungsprozesse. Man weiß heute, dass allen Erkrankungen chronisch-systemische Entzündungen zugrunde liegen. Diese Entzündungen entstehen aus Fehlregulationen und können fatal enden. So hat je nach genetischer Disposition jeder Mensch seine ureigene Krankheitsgeschichte.
Chronisch-systemische Entzündungen können zu Arteriosklerose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2 und zu Tumoren wie Brust- oder Darmkrebs etc. führen. Körperliche Inaktivität ist Risikofaktor Nummer 1 für chronische Krankheiten wie Bluthochdruck, Hyperlipidämie, Diabetes und Fettleibigkeit. Körperliche Aktivität schützt vor diesen Krankheiten und vorzeitigem Tod, eben deshalb, weil die Entzündungszustände in unserem Körpers unterschwellig reguliert bleiben und nicht chronische Dimensionen annehmen.

Als Athlet befindet man sich auf dem Pfad der Gesundheit und Jugend! Wenn man es nicht übertreibt!
Alle sind wahrscheinlich bestens mit der Tatsache vertraut, dass Ausdauertraining Stress abbauen, aber gegebenenfalls auch Stress bedeuten kann, positiv im Fall eines Trainings bis an die Grenze der Leistungssteigerung ohne Folgen des Leistungsabfalls, negativ im Fall des Übertrainings. Je mehr man seinen Körper zu Leistungen zwingt, die zu Strapazen ausarten, desto gestresster wird dieser. Plötzlich spürt man die systemischen Entzündungen. Akute Symptome wie Fieber, Muskelschmerzen, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen etc. können auftreten. Ausreichende Regeneration bringt diese Phänomene schnell zum Verschwinden. Allerdings besteht die Gefahr, wenn man sie immer und immer wieder ignoriert, langsam in ein Übertraining, ein Burn-out oder aber eine Infektion wie EBV oder eine Herzmuskelentzündung hineinzurutschen. Also Vorsicht und währet den Anfängen, der Grat zwischen Wohlbefinden und Krankheit ist umso schmäler, je härter man an die Grenzen der individuellen Belastbarkeit geht.
Die Prozesse, welche die unterschwelligen Entzündungen des Körpers kontrollieren, haben es in solchen Zeiten besonders schwer. Immunsystem, autonomes Nervensystem und der Hormonhaushalt könnten dekompensieren. Wenn man es aber schafft, die individuellen Belastbarkeitsgrenzen herauszufinden, dann kann man sicher sein, dass Sport eine der besten präventiven Maßnahmen für ein langes und gesundes Leben ist.

Eine Bemerkung zum Schluss:
In diesem Beitrag wurde nicht über die lokale akute Entzündungen infolge von Verletzungen oder anderen Traumata geschrieben. Eine akute Entzündung ist ein Prozess, der normalerweise innerhalb weniger Minuten oder Stunden auftaucht und durch die Behebung des Entzündungsreizes wieder nachlässt. Er ist durch 5 Hauptsymptome charakterisiert: Hautrötung, erhöhte Temperatur, Schwellung, Schmerz und Funktionsverlust.

 

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